Ansehen verloren?
Unser Ansehen ist viel tiefer in uns verankert, als wir oft denken. Unser Bewertungssystem ist ständig aktiv und uns sagt, auf welcher Stufe wir uns gerade befinden. Wir beurteilen uns selber und werden beurteilt. Dieses System des Bewertens und Einordnens in einer Hierarchie ist schon bei den einfachsten Lebewesen, wie dem Hummer vorhanden. Sein einfaches Nervensystem schüttet genauso Seratonin aus, wenn er einen Sieg einfährt und Melatonin, wenn er eine Niederlage verkraften muss.
In der zweiten Lebenshälfte hilft uns dieses System oft nicht weiter, denn es geht jetzt nicht mehr um den Erfolg, sondern um den Sinn. Wir sind nicht mehr sklavisch daran gebunden.
Um echte Beziehungen zu pflegen und seelisch gesund zu werden, müssen wir uns davon loslösen. Die Gründer der 12 Schritte Selbsthilfegruppen haben das haarscharf erkannt. Anonymität ist ihre "geistliche Grundlage" und meint genau das radikale Vorgehen gegen jede Art der Bewertung und Beurteilung. Ich kenne oft nur den Vornahmen der Person mit der ich rede. Nur so kann ich sicher sein, dass ich frei von Beurteilung und Bewertung bin. So kann ich an meinen wirklichen Themen zu arbeiten und bei mir selbst zu bleiben.
Auch in unserer Kleingruppe wird dieses wichtige Prinzip beachtet. Ich muss mich nicht schützen, nicht vergleichen, nicht hervortun. Wie wohltuend ist das! Daraus folgt seelische und geistige Gesundheit. Echte Gemeinschaft findet nur auf Augenhöhe statt, hat schon der Religionsphilosoph Martin Buber festgestellt.
Zurück zu unserem Flugkapitän. Wenn er seine prächtige Uniform ablegt, weil er beispielsweise pensioniert wird, geht ihm ein großes Stück Ansehen und Anerkennung verloren. Nun ist es an der Zeit, eine andere Säule seiner Identität zu stärken und aufzubauen.
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